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Europa schafft sich ab


Was wäre wenn? Über die Unsinnigkeit von Pleite- und Austritts-Gedankenspielen in Sachen Griechenland

Es ist ein Trauerspiel, was die Europäische Union hinsichtlich Griechenland derzeit bietet. Noch nie in der Geschichte des Industriezeitalters wurden so offensichtlich Kapitalinteressen gegen die Mehrheit der Bevölkerung exekutiert. Griechenland, derzeit mit mehr als 160 Prozent seines BIPs verschuldet, scheint in einer ausweglosen Situation. Abhängig von Krediten anderer Staaten, weil es sich die horrenden Zinsen auf seine Staatsanleihen am Kapitalmarkt nicht mehr leisten kann, brechen jede Woche neue Sparforderungen über das Land an der Ägäis herein. Täglich wird der europäischen Medienöffentlichkeit erklärt, die Menschen in Griechenland lebten über ihre Verhältnisse und müssten sich die Solidarität der EU und ihrer Mitgliedstaaten verdienen. Seit mehr als 2 Jahren geht das nun so. Ursachen werden verwischt und umgedeutet, die Profiteure lachen sich ins Fäustchen.

Zur Erinnerung: Die Akteure, die sich in der Bankenkrise mit Milliarden haben retten lassen, bedanken sich nun mit Misstrauen hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit und Wucherzinsen für Kredite an ihre Helfer. Wenn jetzt via Sperrkonto zuerst Schulden und Zinsen bedient werden sollen, sollen de facto die Profite der Banken und Spekulanten gesichert und vor die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gestellt werden. Zudem ist es geradezu euphemistisch, weiter von einer Staatsschuldenkrise zu sprechen. Wird doch der griechische Primärhaushalt, also ohne Schuldendienste und Zinsen, in diesem Jahr mit -0,4 Prozent nahezu ausgeglichen sein. Schon dies war nur mit Einschnitten zu erzielen, die die Bevölkerung an den Rand des Erträglichen gebracht haben. Der Konsum ist eingebrochen, 20 Prozent der Menschen sind arbeitslos, fast die Hälfte sogar bei jenen unter 30. Dieser Versuch, den griechischen Euro auf diese Weise versteckt abzuwerten führt schon jetzt zu größten sozialen Verwerfungen. 

Sicher, Griechenland braucht langfristige Strukturreformen. Vetternwirtschaft, Steuerhinterziehung und ineffiziente Verwaltung sind Probleme, denen sich die griechische Gesellschaft stellen muss. Nur haben die mit der Krise am wenigsten zu tun. Und die Lösung dieser Probleme würde den rasant anwachsenden Schuldenberg auch nur geringfügig entlasten.

Doch welche Optionen hat Griechenland eigentlich noch? Mit der gerade erzwungenen Zustimmung zu den Sparpaketen der Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB dürfte das Ende des Liedes noch nicht erreicht sein. Erstens ist unklar, ob nach den Wahlen im April noch eine Mehrheit der derzeit als "die Vernünftigen" dargestellten Sozialdemokraten und Konservativen regieren und die Zusagen einhalten kann. In den Umfragen stürzten diese auf zusammen nur noch 35 Przent ab, insbesondere die extreme Rechte als auch die Linke haben als Gegner der Sparpakete rasanten Zulauf. Zweitens dürfte der Abwärtsstrudel durch die Sparmaßnahmen erst noch richtig in Gang kommen, glaubt man jenen Ökonomen, die das Abschmieren der griechischen Ökonomie aufgrund des Nachfrage-Einbruchs prognostizieren. 

Immer wieder wird deshalb eine Staatspleite oder der Austritt aus der Eurozone oder beides zusammen als Möglichkeit debattiert. Doch weder das eine noch das andere sind geeignete Lösungen. Bei einem Bankrott hätte Europa nichts zu lachen. Griechenlands Schulden belaufen sich auf ca. 350 Milliarden Euro. Davon liegen 55 Mrd. bei der EZB, 53 Mrd. bei den EU-Staaten, 20 Mrd. beim IWF, 80 Mrd. bei griechischen Banken und Versicherungen, 55 Mrd. bei europäischen Banken und Versicherungen, 70 Mrd. bei Investment-, Hedge-, Pensions- und Staatsfonds und 20 weitere bei anderen Anlegern. Kann Griechenland bei einer der kommenden notwendigen Umschuldungen, die erste im März (14,5 Mrd.), mangels Geld die fälligen Rückzahlungen nicht leisten, wäre es Bankrott. Und dann? Griechische Anleihen gelten von da an als Ausfall.

Die europäischen Banken haben diese Werte schon weitgehend abgeschrieben, also de facto via Hilfszahlungen der Staaten auf die Steuerzahler abgewälzt. Die europäische Versicherungen und Pensionsfonds träfe dies hart an der Grenze dessen, was sie zu leisten fähig wären. Dem griechischen Bankensektor würde dies mit Sicherheit den Garaus machen. Hinzu kämen die nur zu schätzenden 100 Mrd., die Banken und Versicherungen für in diesem Fall fällige Kreditausfallversicherungen (CDS) abgeschlossen haben. Welche ja extra für diese Fälle abgeschlossen wurden und zu einem großen Anteil nicht von den Inhabern von Staatsanleihen, sondern von auf eine Staatspleite spekulierenden Anlegern gekauft und mit viel Gewinn gehandelt wurden. Die Dominoeffekte scheinen, anders als von Kommission und Eurogruppe behauptet, wenig beherrschbar, die Auswirkungen auf die Realwirtschaft unkalkulierbar. Dazu hilft ein einfacher Vergleich: Wir reden heute über eine Schadensumme, die das 7fache des Crash von Lehmann Brothers übersteigt. Der gespannte Rettungsschirm, von welchem Teilsummen auch schon in anderen EU-Ländern stecken, käme schon jetzt an seine Grenzen. Und: ob dieser Schritt einer Erholung der griechischen Wirtschaft, und folglich der griechischen Staatskasse, zuträglich wäre, ist sowohl unter Ökonomen als auch in der Politik umstritten.

Zwar müsste Griechenland zunächst keine weiteren Schulden mehr bedienen, allerdings sämtliche Rechnungen auch in bar bezahlen. Die Abwärtsspirale der griechischen Wirtschaft ist damit nicht gestoppt, neue Löcher könnten mangels Kreditwürdigkeit nicht mehr gestopft werden, es müsste weiter gekürzt werden, die Nachfrage bräche weiter ein - ein Teufelkreislauf, der Griechenland zurück ins vorindustrielle Zeitalter katapultieren und damit aufs Niveau eines Entwicklungslandes stufen würde. Der letzte in der Weltwirtschafts-Geschichte gekannte Staatsbankrott in Argentinien hatte für das Land verheerende Folgen. Kapitalflucht, Auszahlungsbegrenzungen, Streiks, gewalttätige Auseinandersetzungen und wirtschaftliche Rezession. Dies konnte letztlich nur durch eine massive Abwertung der Landeswährung und einem Schuldenschnitt, der in einem harten Kampf mit IWF und Gläubigern erstritten werden musste, gestoppt werden. Die Folgen: dramatischer Anstieg von Armut und Unterernährung, Landflucht, Expansion des informellen Sektors bis hin zu schwerwiegenden Ressourcen-Engpässen. Hier sei eingefügt: Der Schritt der Abwertung ist durch die gemeinsame Währung Euro für Griechenland verbaut und ließe sich nur durch einen Austritt aus der Euro-Zone realisieren. Dieser Teil müsste, wollte das Land in der Eurozone verbleiben, also auch über weitere Sparmaßnahmen versuchen zu realisieren. Dies erscheint nach allem aussichtslos.

Der vor allem auf Bildzeitungs-Niveau zu findende Vorschlag, "die Griechen" aus der Eurozone auszuschließen, ist in den europäischen Verträgen so nicht vorgesehen und deshalb keine Option. Die restlichen Mitgliedstaaten könnten Griechenland allenfalls zum Austritt auffordern, allerdings ohne rechtliche Relevanz. Ein Austritt aus der Eurozone hätte ähnlich dramatische Folgen wie ein Bankrott, noch schwerwiegender für die griechische Gesellschaft. Zwar würden griechische Exporte, durch eine der Wiedereinführung der Drachme folgende drastische Abwertung, im internationalen Wettbewerb enorm verbilligt. Allerdings verteuerten sich dringend benötigte Importe in gleichem Masse und stiegen die Schulden Griechenlands ins unbezahlbare, blieben diese doch in Euro und Dollar erhalten und würden früher oder später von den Gläubigern reklamiert werden. Geschätzte 600 Mrd. Drachmen würden auf der Soll-Seite zu verbuchen sein, legt man die 44-prozentige Abwertung des Münchner Ifo-instituts zugrunde. Ein weitere Folge wären Dominoeffekte im Euro-Raum. Denn wenn erstmal ein Staat gefallen ist, steigt der Anreiz auf die Pleite weiterer, durch die Bankenkrise ins Straucheln geratene Mitgliedsstaaten zu wetten. Risikoaufschläge auf deren Staatsanleihen stiegen in Kürze ins astronomische. Die Folgen - unabsehbar. Zudem fielen nach und nach die Handelspartner für Griechenland und weitere möglicherweise folgende Krisenstaaten weg, weil sich auch in der Eurozone der Rückgang der Nachfrage und damit die Ausbreitung einer Rezession nicht mehr verhindern ließe. Es wäre schlechthin das Ende der Währungsunion und damit unter Umständen auch der EU.

Eines der Versprechen der EU war gemeinsame Stärke und Solidarität. Und dies wäre spätestens dann ad absurdum geführt. Dieses Versprechen wäre leicht einzulösen. Stärke könnte die EU und ihre Mitgliedstaaten beweisen, indem sie die Finanzmärkte wieder unter Kontrolle bringen. Ihnen ihren Beitrag zur Krise abverlangen und endlich die Finanztransaktionssteuer einführen. Gekoppelt mit harter Regulierung des Finanzsektors und dem Verbot von hochspekulativen Finanzinstrumenten wäre weiteren Spekulationen gegen die Mitgliedstaaten ein Riegel vorgeschoben. Mit Mindeststandards in der Unternehmensbesteuerung, Vermögensteuer und angemessener Beteiligung von hohen Einkommen an der Finanzierung des Gemeinwesens wäre dem für die öffentlichen Haushalte ruinösen Steuerwettbewerb Einhalt zu gebieten. Und über eine Bank für öffentliche Anleihen könnten die Mitgliedsstaaten, und so auch Griechenland, sich mit zum EZB-Basissatz verzinsten günstigen Krediten vernünftig refinanzieren. Und so langsam aus der Schuldenfalle entfliehen. Ein freiwilliger Schuldenschnitt in Form eines Umtausches der hoch verzinsten in dementsprechend günstigere Anleihen würde den Finanzsektor angemessen beteiligen. Ohne die europäische Bankenlandschaft ernsthaft in Gefahr zu bringen. Auf diese Weise würde tatsächlich europäische Solidarität in Zeiten der Krise demonstriert, wenn nämlich die Stärkeren tatsächlich für die zeitweilig Schwächeren einstehen.  

Dies setzte jedoch voraus, dass man in Europa wieder Politik für und mit den Menschen macht und nicht im Interesse von Banken und Kapitaleignern. Davon ist derzeit leider wenig zu erkennen. Es ist also an der Zeit, dass sich die europäische Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und linke progressive Kräfte, die Herrschaft der Politik als Vertretung der Menschen über die Wirtschaft und die Kapitalbesitzer zurück aneignen. Es geht um nicht weniger als das Friedens- und Integrationsprojekt Europäische Union.

Dieser Artikel erschien leicht gekürzt am 24. Februar 2012 in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland.

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