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Drei Optionen und ein Bärendienst

Euro-Debatte: Frank Puskarev über ökonomische und strategische Fragen der Linken
Seit einer Woche diskutiert die LINKE nun erneut, welcher Weg aus der Krise der EU denn nun aus linker Sicht der adäquatere wäre und inwieweit die linke Kritik an der Rettungspolitik der EU, welche massgeblich von der Merkel-Regierung in Berlin geprägt wurde und wird, vergleichbar mit der Kritik aus der rechten Ecke von der sogenannten „Alternative für Deutschland“ ist.

Viele kluge Kommentare aus unterschiedlichster Perspektive hat es gegeben, einige Fragen sind dennoch weiter offen. Vieles scheint durcheinander zu geraten, namentlich eine ökonomisch-akademische Debatte vs. eine zu führende über realpolitische Handlungsoptionen, hinzugenommen die eingesprengte Debatte um strategische Kommunikations-Herangehensweise in Bezug auf bevorstehende Wahlkämpfe und mediale Rezeption von Äusserungen herausgehobener Persönlichkeiten der Partei. Deswegen soll hier noch einmal eine Entzerrung des ganzen versucht und die einzelnen Punkte der Reihe nach argumentiert werden.
Drei ökonomische Optionen

Ökonomisch gibt es tatsächlich und mindestens drei Optionen: erstens es wird weiter wie gehabt über massive Austeritätspolitik versucht, „Wettbewerbsfähigkeit“ herzustellen resp. die Haushalte der Krisenstaaten soweit zusammen zu streichen, bis diese aus eigenen Mitteln und ohne weitere Verschuldung die am Finanzmarkt aufgenommenen Kredite begleichen können. Diese vor allem von der EU-Kommission und der deutschen Bundesregierung vorangetriebene Lösungsmodell führt, darüber sind sich alle auf der Linken einig, über kurz oder lang zu solch massiven sozialen Verwerfungen, das die Menschen in den betroffenen endgültig jedes Vertrauen in die EU und die Rettungsstrategie der EU-Eliten verlieren und sich schlimmstenfalls nationalistischen und faschistischen Politikangeboten am rechten Rand des Parteienspektrums zuwenden, die in der Regel die EU als Ganzes ablehnen. Ob dies eine wirkliche „Alternative“ wäre dar bezweifelt werden, die Gefahr allerdings nicht unterschätzt.

Überdies verlieren durch die damit einhergehende Rezession diese Mitgliedstaaten jede Perspektive, auf einen Pfad wirtschaftlicher Erholung zurückzukehren. An einem bestimmten Punkt wird diese Politik diese Mitgliedstaaten erneut in die Zahlungsunfähigkeit treiben. Ein Herausdrängen dieser aus Euro und final EU ist hier also nur eine Frage der Zeit. Die Merkelsche Krisenpolitik betreibt also genau jenes Geschäft das sie vorgibt zu verhindern, nämlich das Zerbrechen der Eurozone und der EU. Da dies für die LINKE - und einhellig - keine Option sein kann, sollte doch noch einmal die ökonomische und politische Sinnhaftigkeit der alternativen Vorschläge geprüft sein.

Zweite Option wäre die Verständigung auf eine Kombination verschiedener Mechanismen zum Ausgleich makroökonomischer Ungleichgewichte, wie sie schon an verschiedenen Stellen diskutiert und in verschiedenen Facetten von allen Parteien der gesellschaftlichen Linken gefordert werden. Anzugleichen wären im Besonderen die unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsentwicklungen in der EU mindestens des vergangenen Jahrzehnts, Experten sprechen von ca. 20 bis 30 Prozent Spreizung in der EU.

Als Vorschläge auf dem Tisch liegen neben interner Aufwertung über höhere Löhne und Sozialleistungen vor allem in Deutschland ein solidarischer steuerfinanzierter Ausgleichsmechanismus auf EU-Ebene sowie Strafzahlungen bei Überschreitung gewisser Grenzen vor allem für jene Staaten mit exzessivem Handelsbilanzüberschuss. Die ersten beiden Faktoren könnten die entstandenen Ungleichgewichte langsam verringern, der letztere soll neue verhindern.

In der Sache sind sich in dieser Positionierung zumindest die Parteien auf der gesellschaftlichen Linken mit progressiven Organisationen der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften einig. Allerdings setzt die Umsetzung einer solchen Strategie gesellschaftliche und politisch-parlamentarische Mehrheiten und den Willen der Beteiligten voraus, diese auch in praktische Politik umzusetzen. Diese Variante scheint, auch nach einhelliger Meinung, die beste aller Möglichkeiten zu sein, könnte sie doch einhergehen mit Maßnahmen, die die Konstruktionsfehler der EU zumindest verringern, wenn nicht gar beseitigen. Diese wären eine echte Sozialunion mit dem Anspruch, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Europa herzustellen ebenso wie der Versuch, den ruinösen Steuerwettbewerb durch Einführung von Mindeststandards und Mindestbesteuerung zu einzudämmen. Hier stellt sich vor allem also die Frage der politischen Durchsetzbarkeit mehrerer oder bestenfalls aller dieser Komponenten. Dies kann man in der Betrachtung gegenwärtiger Politik konkurrierender Parteien durchaus auch infrage stellen.

Dritte Option, ökonomisch wohlgemerkt, wäre der Versuch, über eine Rückkehr zu einer Art EWS mit nationalen Währungen und politisch verhandelten Wechselkursen die ökonomischen Ungleichgewichte durch Auf- und Abwertungen wieder zu kompensieren und so eine wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen. Auf den ersten Blick scheint dies eine Option zu sein, die schnell eine Erholung ermöglicht und zumindest den Menschen in den Krisenstaaten etwas Souveränität in Sachen Gestaltung des Gemeinwesens und Reaktivierung der Wirtschaft zurückgibt. Schaut man allerdings genauer hin, sind die Verwerfungen durch diese Massnahme kaum attraktiver als jene, die durch Merkels Krisenpolitik hervorgerufen werden.

Vor allem der Fakt, dass betroffene Mitgliedstaaten abrupt vom Kapitalmarkt abgeschnitten und neue und notwendige Investitionen auf längere Sicht verunmöglicht wären dürfte für harte Einschnitte sorgen. Der weiter bestehende Schuldendienst würde für die betroffenen MS auf Jahrzehnte jeglicher Gestaltungsmöglichkeiten berauben, eine Totalverweigerung der Bedienung der Schulden würde den Mitgliedstaaten massiv isolieren, was sich keiner der mangels eigener Wirtschaftsleistung auf Importe dringend angewiesenen leisten können dürfte. Auf die Auswirkungen eines Zerbrechens der Eurozone auf bisher noch nicht oder nur wenig von der Krise in Mitleidenschaft gezogenen Ländern ist an andere Stelle schon hingewiesen worden.

Die schlechtere Variante aus linker Sicht

Ein weiteres Argument, warum Option drei die schlechtere der aus linker Sicht möglichen sein dürfte, eröffnet sich wenn man einen Blick auf die ökonomische Entwicklung der Mitgliedstaaten bis zur und seit der Krise wirft. So muss man feststellen, dass bis 2008, also zum Ausbruch der Krise, diese wirtschaftlichen Ungleichgewichte durch die Mitgliedstaaten selbst und bestehende europäische Mechanismen insoweit ausgeglichen werden konnten (Ausnahme: Griechenland), dass diese sich nicht einer Schere gleich gespreizt auseinander entwickelten. Bis dahin hatte keines der heute im Fokus stehenden Länder Probleme mit den öffentlichen Finanzen, Irland galt gar als Maastricht-Musterland.

Zudem ist es mitnichten so, dass die infrage stehende öffentliche Verschuldung einhergeht mit reduzierten privaten Vermögen. So liegt in Portugal das private Geld-Vermögen bei 124 Prozent des BIP, die Staatsschulden dagegen bei 93 Prozent. In Italien ist dieses Verhältnis 175 Prozent vom BIP Geldvermögen vs. 118 Prozent vom BIP in Bezug auf die Staatsverschuldung, so die Zahlen der europäischen Statistikbehörde. Die bestehende fiskalpolitische Ausrichtung in den Mitgliedstaaten könnten also durchaus dazu beitragen, die Situation in diese oder jene Richtung zu ändern. Das dies nicht geschieht liegt gerade nicht am Euro und unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sondern an politischen Entscheidungen in den jeweiligen Ländern und wiederum der Konstruktion der EU als Steuerwettbewerbs-Union.
Hilfreicher Blick nach Zypern

Um dies etwas zu bebildern hilft ein Blick nach Zypern: Das Land hat auch unter kommunistischer Präsidentschaft nicht unwesentlich zur eigenen Lage beigetragen. Das zyprische Geschäftsmodell, mit wenig bis nominalen Steuern internationales Anlagekapital anzulocken, ist auch von unseren Freunden der AKEL nie wirklich infrage gestellt worden. In sechs Monaten zyprischer Ratspräsidentschaft sind das sogenannte „sixpack“, der Fiskalpakt und einige andere weniger ehrenhafte europäische Gesetzespakete, ohne nennenswerten zypriotischen Widerstand durch gewunken worden. Man sollte sich sicher keine Beurteilung der Politik und Strategie der GenossInnen der AKEL aus der Ferne erlauben, Fragen diesbezüglich sollten aber bei aller Freundschaft durchaus legitim sein. Auch hilft dieser Hinweis akut nicht bei der Lösung europäischer Probleme, könnte jedoch bestimmte Positionierungen besser erklären und einen Hinweis geben, welcher Lösung sich die LINKE denn eher zuwenden sollte.

Diese kurze Gegenüberstellung zeigt sehr deutlich, dass die Debatte gerade nicht darum geht, bedingungslos für oder gegen den Euro zu sein. Es geht darum, das von Merkel gefährdete europäische Projekt von links zu verteidigen und diesbezüglich Lösungswege aufzuzeigen.

Damit kommt mann dann zu der politischen Frage, welche dieser Optionen man als LINKE in welcher Form in den Fokus der Debatte stellen sollte. Deutlich wurde in der Debatte der letzten Tage, das eine Lösung im Sinne einer erneuerten, sozialen und anderen EU die beste aller Lösungen wäre. Oder wie in der Sendung „Berlin direkt“ am vergangenen Sonntag sinngemäß festgestellt wurde, es gibt eigentlich niemanden mit Rang und Namen in der LINKEN, der die im Raum stehenden Vorschläge für eine Rückkehr zu nationalen Währungen aktuell unterstützen würde.

Dies dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, das die LINKE ja gerade angetreten ist, die Verhältnisse zu ändern und deshalb schlecht beraten wäre, jetzt der Argumentation zu folgen, weil eine Änderung der politischen Verhältnisse unrealistisch erscheint und somit auch keine ökonomische Lösung in Sichtweite, müsse man nun zu drastischeren Maßnahmen greifen und die Konsequenzen daraus ziehen, so gefährlich und kompliziert dies auch immer sei.
Die Frage nach den Bündnispartnern

Leider sagen die Befürworter eines neuen EWS-Systems nämlich nicht, wie denn der Prozess dahin und die politischen Verhandlungen diesbezüglich unter den bestehenden als monolithisch empfundenen und auf der falschen Seite der Barrikade stehenden politischen Mehrheits-Verhältnisse in irgendeiner Weise für die betroffenen Mitgliedstaaten positivere Ergebnisse zeitigen sollten als dies in den bisherigen Verhandlungen zu Rettungspaketen der Fall war.

Unbeantwortet auch die Frage, mit wem man diesen Weg denn in der europäischen politischen Landschaft durchsetzen möchte. Polemisch fragen möchte man: mit streng hierarchisch organisierten marxistisch-leninistischen, ja, orthodoxen KPen Südeuropas? Oder mit nationalistischen Rechtspopulisten à la AfD? Um es vorsichtig auszudrücken: Diese Vorstellung dürfte realpolitisch mindestens so verwegen sein wie die Hoffnung, mit Kräften des gesellschaftlich linken, progressiven Lagers eine Reform der Europäischen Union anzugehen.

Womit man bei der strategischen Aufstellung und auch der Kommunikation angelangt wäre. Und in diesem Zusammenhang ist der nun auf dem Tisch liegende Vorschlag sehr wohl und deutlich, nicht nur ökonomisch, zu kritisieren. In einer Zeit, in der in allen Ländern auch und gerade auf der Linken darum gerungen wird, den besten Weg aus der Krise unter Erhalt der europäischen Integration zu finden. Ja mehr noch, in der Wege der Vertiefung der Integration hin zu einer politischen Union inklusive einer sozialen Union als mögliche Wege aus der Krise ausgelotet werden. In dieser Zeit die Forderung der Desintegration aufzustellen scheint zumindest irgendwie deplaziert.

In einer Zeit, in der rechtspopulistische Marktradikale gerade den nationalen Untergang wegen der gemeinsamen Währung EURO an die Wand malen, muss diese Forderung als nichts anderes als ein gefährlicher Irrgang bezeichnet werden. Ein Irrgang, der offensichtlich und ausschliesslich taktisch motiviert bewusst anschlussfähig an die Argumentation der sogenanten AfD erscheint. Niemand der Beteiligten kann ernsthaft behaupten, diese Reaktion der Öffentlichkeit nicht mindestens billigend in Kauf genommen zu haben. Damit wurde um der medialen Aufmerksamkeit wegen der LINKEN im Wahlkampf eine Debatte aufgedrängt, die in dieser Form sicherlich nicht das Vertrauen in LINKE Positionierungen gestärkt hat. Unterm Strich ist also der Partei einen Bärendienst erwiesen.

Das ist insofern schade, als dass eine Debatte über richtige Strategien zur Krisenbewältigung und solche, die es eher nicht sind, noch keiner Partei geschadet hat. Nur hätte man sie eben, und darauf wurde schon von Dominic Heilig aus dem Parteivorstand hingewiesen, im Rahmen der Programmdebatte in verschiedenen Regionalkonferenzen, als Kommentar zu den verschiedenen Entwürfen zum Programm oder als Antrag auf dem Parteitag einbringen können. Diese Chance besteht übrigens immer noch. Bis zum 30. Mai.

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