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Harte Bandagen - oder lieber doch nicht?


Europaparlament bezieht Stellung gegen Steuerhinterziehung und -betrug, Rat schläft weiter

Thomas Händel/ Frank Puskarev

Gegen Steuerbetrug und -hinterziehung helfen nur die ganz harten Bandagen. Der Unterschlagung von 1.000 Milliarden Euro an Steuergeldern muss endlich wirksam begegnet werden. Diese Einsicht scheint auch im Europa-Parlament angekommen zu sein. Zwei Beschlüsse deuten - zumindest zum Teil - darauf hin. Der Rat dagegen kann sich erneut nicht zu entschlossenerem Handeln durchringen.

Zum Positiven: wer in Europa Steuern hinterzieht soll künftig mit harten Sanktionen rechnen müssen. Wer Beihilfe zu Steuerhinterziehung und aggressiver Steuerplanung leistet ebenfalls. In dieser Hinsicht ist der im Parlament mit großer Mehrheit angenommen Bericht ein grosser Fortschritt und ein klares Signal an den Euro-Gipfel am 22. Mai.

Endlich werden wirksame Kriterien von Rat und Kommission eingefordert: Staaten, die die Weitergabe steuerrelevanter Informationen verweigern, müssen künftig damit rechnen, auf der schwarzen Liste der Steueroasen zu landen. Das soll auch für Staaten gelten, die keine oder nur nominelle Steuern erheben, die Steuervorteile auch dann gewähren, wenn überhaupt keine realen ökonomischen Aktivitäten oder entsprechende Präsenz nachgewiesen werden kann. Das ist ein Erfolg!

Endlich werden wirksame Sanktionen eingefordert. Sie reichen bis zum Lizenzentzug für Finanzinstitute, die Filialen in Steueroasen unterhalten. Auch Doppelbesteuerungs- Abkommen mit Staaten und Gebieten der "schwarzen Liste" sollen künftig suspendiert oder gekündigt werden. Ihnen soll künftig der Zugang zu EU-Förderung gestrichen werden können. Das soll auch für Firmen aus diesen Staaten gelten. Im härtesten Fall soll sogar die Verweigerung des Zugangs zum Binnenmarkt als Option geprüft werden. Alle Transaktionen in Steueroasen sollen künftig mit einer Sondersteuer belegt werden. Sonderzölle immer dann greifen, wenn Handel mit Staaten oder Firmen aus Staaten auf der schwarzen Liste betrieben wird. Der Bericht formuliert zudem Wege, aggressive Steuervermeidungsstrategien zu bekämpfen.

Eingefordert wird ein entsprechendes Verhalten insbesondere von den immer wieder auffälligen Mitgliedstaaten: Inakzeptabel sei es, wenn sie die Weitergabe von steuerrelevanten Informationen verweigern oder mit aggressivem Steuerwettbewerb dem solidarischen Grundgedanken Europas beschädigen.

Eine starke Position!

Das Europaparlament will nicht warten, bis sich die G20 oder irgendwer am Sankt-Nimmerleins-Tag geeinigt haben. Er macht den Staats- und Regierungschef deutlich, dass jetzt gehandelt werden muss. Soweit so gut.

Auf der Tagesordnung des EU-Gipfels am 22. Mai stand das Vorgehen der EU gegen Steuerhinterziehung. "Die um die Konsolidierung ihrer Haushalte bemühten Mitgliedstaaten schöpfen das Einnahmepotenzial bei den Steuern nicht aus, und die Frage der Steuergerechtigkeit nimmt einen breiten Raum ein." sagt EU-Kommissionschef Barroso. Er wollte eine Aktualisierung der bestehenden Regeln zur Weitergabe von Steuerinformationen zu beschließen. Gespannt blickten deshalb alle nach Brüssel, was am Ende auf dem Gipfel beschlossen würde.

Und einmal mehr enttäuschen die Staats- und Regierungschefs die BürgerInnen Europas. Weder zur Zinsrichtlinie, die von Österreich und Luxemburg blockiert wird, noch in anderen Fragen sei man entscheidende Schritte weitergekommen. Allenfalls bis zum Jahresende will man sich auf eventuelle Schritte verständigen, die Kommission soll bis dahin etwas vorschlagen. Damit dürfte auch das mindestens bis Ende 2014 verschoben sein, schliesslich sind im kommenden Jahr Europa-Wahlen und nieland glaubt ernsthaft daran, in dieser Zeit gemeinsame Entscheidungen von Parlament und Rat in diesen heiklen Themen erreichen zu können.

Dieser positive Eindruck der ersten Parlamentsposition wird im Übrigen mit einem zweiten, ebenfalls angenommenen, Bericht zur Situation der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten schon wieder getrübt. Zurecht fordert dort das EP zwar steuerliche Eigenmittel - findet aber die Übertragung von Steuerkompetenzen auf die EU wiederum viel zu schwierig weil dafür die europäischen Verträge geändert werden müssen. Dass das (nicht nur dazu) nötig ist, sagen wir schon lange. Steuererhöhung werden in diesem Bericht als Mittel nicht mehr ganz ausgeschlossen, aber wenn dann bitte vom Verbraucher. Natürlich nicht von den Vermögenden und Reichen, von den Krisengewinnlern.

Glanzstück allerdings ist die Forderung nach Steuersenkungen, die die Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte nicht belasten sollen - gleichzeitig aber “wachstums-, beschäftigungs- und wettbewerbsfördernden Massnahmen" fördern sollen. Man möchte meinen im EP ist endlich das Perpetuum mobile gefunden worden. Die Realitäten zeugen etwas anderes. Irgendwann müsste einer Mehrheit im EP doch ein Licht aufgehen: das Dogma des Steuerwettbewerbs in der EU ruiniert die gesellschaftlichen Grundlagen in den Mitgliedsstaaten - und die EU gleich mit.

Nur mit koordinierten Steuerpolitiken, einer vereinbarten europäischen Mindestbesteuerung für Einkommen, Gewinne und Vermögen, einer Sondersteuer für Reiche und Vermögende und der Schliessung sämtlicher Lücken in den Steuersystemen der Mitgliedsstaaten kommt man dem bei.

Vor allem die grossen Unternehmen und nicht wenige Vermögende spielen mit den Steuerbehörden Katz und Maus. Resolutionen, Sonntagsreden und Gipfelrhetorik reichen da nicht - die Zeit für die eingangs erwähnten härteren Bandagen könnte eigentlich nicht besser sein.

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